„Es war eine Bürgerrevolution, die des Friedensnobelpreises würdig wäre.“ So Seauls Bürgermeister: Wir hatten (in der Hauptsatadt Südkoreas) 20 Demonstrationen und bis zu 1,6 Millionen Teilnehmer für die Absetzung der Präsidentin! Und nicht eine war gewalttätig! In diesem ganzen Prozess wollten viele der Demonstranten eine neue Demokratie schaffen, die täglich in ihrem eigenen Leben spürbar wird. Sie hoffen auch auf mehr Wachstum, von dem sie etwas haben. Beides sollte die nächste Regierung akzeptieren. Für uns ist auch der Kalte Krieg nicht vorbei. Es bleibt die Möglichkeit einer Krise, und umso mehr haben wir Durst nach Frieden. Daher müssen wir mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten, um die Gefahr diplomatisch zu verringern. Und wir müssen Nordkorea überzeugen, die Türe für die internationale Gemeinschaft zu öffnen. Die Kooperation zwischen Staaten ist sehr offiziell, sie bildet Richtlinien. Aber der Austausch zwischen Regionen oder Städten füllt sie mit Leben, er ist praktischer. Viele Leute sind verärgert oder gar verzweifelt, wenn sie an die Regierung oder Politik im Allgemeinen denken. Lokale Regierungen sind näher an den Menschen und können leichter auf Feedback reagieren. Das ist sicher ein Ansatzpunkt. Ich werde aber darauf drängen, dass die kommende Regierung echte Demokratie herstellt, auch die tägliche Demokratie für die Menschen.“

Seouls Bürgermeister: „Für uns ist der Kalte Krieg nicht vorbei“

aus der Standard:

INTERVIEW MANUEL ESCHER 1. April 2017,  Park Won-soon bezeichnet die Proteste gegen Südkoreas Präsidentin als „Bürgerrevolution, die des Friedensnobelpreises würdig wäre“ Seouls Bürgermeister Park Won-soon gilt als Kritiker der abgesetzten Präsidentin Park Geun-hye. Weil die Kundgebungen friedlich blieben, ist er stolz auf die Menschen, die für ihre Absetzung demonstrierten. Nun gelte es, Vertrauen in das politische System zurückzugewinnen.

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STANDARD: In Seoul haben in den vergangenen Monaten riesige Proteste für die Absetzung der Präsidentin Park Geun-hye stattgefunden. Auch Sie haben zu ihrem Rücktritt aufgerufen. Wie war es für Sie, diese Rolle von jener als Bürgermeister zu trennen?

Park: In der Demokratie geht es darum, dass die Menschen Herrschaft über die Nation haben. Dass sie das Recht haben, ihren Willen auszudrücken, dass es Versammlungs- und Demonstrationsrecht gibt. Ich bin nicht glücklich darüber, dass es eine Absetzung geben musste. Aber ich wusste, dass wir den Demonstranten Sicherheit garantieren müssen. In Seoul hatten wir bis zu 1,6 Millionen Demonstranten. Es war unsere Verantwortung, ihnen Notwendiges zur Verfügung zu stellen. Sicherzustellen, dass Toiletten vorhanden waren, dass der öffentliche Verkehr funktionierte. Insgesamt waren es 20 Großdemonstrationen. Und ich bin unglaublich stolz darauf, dass wir nicht eine einzige gewalttätige Auseinandersetzung vor der Absetzung hatten. Es war eine Bürgerrevolution, die des Friedensnobelpreises würdig wäre.

STANDARD: In einigen Wochen wird es nun Wahlen geben. Doch viele bleiben vom System desillusioniert. Wie kann das Vertrauen wiederhergestellt werden?

Park: In diesem ganzen Prozess wollten viele der Demonstranten eine neue Demokratie schaffen, die täglich in ihrem eigenen Leben spürbar wird. Sie hoffen auch auf mehr Wachstum, von dem sie etwas haben. Beides sollte die nächste Regierung akzeptieren.

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STANDARD: Sie sind für die Security Days der OSZE in Wien. Was ist für Sie als Bürgermeister die größte Sicherheitsherausforderung?

Park: In Europa ist Migration gerade ein großes Thema. Derzeit gibt es zwar Probleme, aber in einem weiteren Sinne hat Europa eine Geschichte des friedvollen Zusammenlebens. In Korea gibt es damit weniger Erfahrung. Aber wir haben jetzt 400.000 Ausländer in Seoul. Ihre Zahl steigt. Viele Gastarbeiter haben koreanische Frauen geheiratet. Für mich ist in diesem Sinne die soziale Einigkeit eine große Herausforderung. Neben der Bedrohung durch Nordkorea.

STANDARD: Seoul und Wien waren vor 30 Jahren in ähnlichen Situationen. Der eiserne Vorhang war 30 Kilometer von Wien entfernt. Was sind ihre Gefühle, wenn Sie die Stadt nun besuchen?

Park: Das hat auch für uns Signifikanz. Seoul ist nur 40 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Für uns ist der Kalte Krieg nicht vorbei. Es bleibt die Möglichkeit einer Krise, und umso mehr haben wir Durst nach Frieden. Daher müssen wir mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten, um die Gefahr diplomatisch zu verringern. Und wir müssen Nordkorea überzeugen, die Türe für die internationale Gemeinschaft zu öffnen.

STANDARD: Es scheint, als wäre es einfacher, Verbindungen zwischen Städten aufzubauen als zwischen Ländern. Wie erklären Sie sich das?

Park: Das ist eine Beobachtung, die ich teile. Die Kooperation zwischen Staaten ist sehr offiziell, sie bildet Richtlinien. Aber der Austausch zwischen Regionen oder Städten füllt sie mit Leben, er ist praktischer.

STANDARD: Es gibt etwas Austausch zwischen Wien und Seoul, aber er ist beschränkt. Was ist Ihr Blick auf das Verhältnis?

Park: Jedes Jahr fahren rund 300.000 Koreaner nach Österreich, die Zahl steigt stetig. Und es gibt viele Studenten. Wenn sie nach Hause fahren, spielen sie eine wichtige Rolle beim künftigen Austausch. Allerdings hatten Wien und Seoul bisher keine signifikante Zusammenarbeit. Ich habe auf meiner Reise mit Bürgermeister Michael Häupl gesprochen. Wien ist eine Stadt der Kunst, es gibt viele Kulturgüter, es kann also Austausch in diesem Bereich geben. Und dann sind es in Wien die internationalen Organisationen. Da kann Seoul von Wien lernen. Was die Nutzung der Technologie betrifft, versuchen wir Vorreiter zu sein, etwa bei Big Data. Da haben wir unser Wissen auch schon vielen Städten zur Verfügung gestellt.

STANDARD: In vielen Teilen der Welt sehen die Menschen ihre nationalen Regierungen sehr kritisch. Bürgermeister haben es oft leichter, obwohl eine Stadt wie Seoul mehr Einwohner hat als ein Land wie Österreich. Worin sehen Sie den Grund für diese Ungleichheit?

Park: Das ist tatsächlich ein Phänomen. Viele Leute sind verärgert oder gar verzweifelt, wenn sie an die Regierung oder Politik im Allgemeinen denken. Lokale Regierungen sind näher an den Menschen und können leichter auf Feedback reagieren. Das ist sicher ein Ansatzpunkt.

STANDARD: Sie haben selbst mit dem Gedanken gespielt, bei der Präsidentenwahl anzutreten. Wie sehen Sie Ihre Rolle in den kommenden Wochen und danach?

Park: Ich habe eine Weile überlegt und mich schließlich dagegen entschieden. Ich habe als Bürgermeister viel Verantwortung. Ich werde aber darauf drängen, dass die kommende Regierung echte Demokratie herstellt, auch die tägliche Demokratie für die Menschen.

(Manuel Escher, 31.3.2017) foto: ap photo/francois mori Park Won-soon (61) ist Bürgermeister von Seoul. Währen der Diktatur Park Chung-hees war er als Menschenrechtsaktivist kurz in Haft, später gründete er Organisationen zur Bürgerbeteiligung. Seine Bürgermeister-Kandidatur als Unabhängiger wurde von der oppositionellen Demokratischen Partei unterstützt, der er später beitrat. Für die Security Days der OSZE war er in Wien. – derstandard.at/2000055176537/Seouls-Buergermeister-Fuer-uns-ist-der-Kalte-Krieg-nicht-vorbei

Die Profiteure des Terrors: Wie Deutschland an den Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt! Milliardenaufträge für Siemens aus Kairo, steigende Nachfrage an deutschen Rüstungsgütern in Riad und Abu Dhabi: Der Schmusekurs der Bundesregierung mit den autoritären Regimes des Nahen Ostens hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Markus Bickel von Amnesty International deckt in seinem Buch „Die Profiteure des Terrors“ auf, wie die Handelsfixierung der deutschen Diplomatie zur Aufrüstung der arabischen Welt beiträgt. Auf Platz drei unter den Importeuren von Waffen made in Germany weltweit landete Saudi-Arabien zuletzt – dicht gefolgt von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Die Devise lautet: Profite vor Menschenrechte, und diese Marschroute ist für die Länder der Region gleichzeitig ein Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate. In Deutschland haben die Mächte des „Golf-Kooperationsrates“ in den vergangenen Jahren Milliarden investiert. Die Abhängigkeit der deutschen Politik von den Interessen der Ölmonarchien wird dadurch immer größer. Das will so direkt zwar kein Politiker offen aussprechen, die regelmäßigen Reisen der Kanzlerin, des Vizekanzlers, aber auch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dessen Wahl zum Bundespräsidenten in die Region sprechen eine deutliche Sprache.

Markus Bickel: „Kampf gegen den Terror nutzt vielen“

Der Anti-Terror-Kampf hat für einige Akteure handfesten ökonomischen und politischen Nutzen, schreibt M. Bickel, Chefredakteur des Journals von Amnesty International, in seinem neuen Buch. Auch Deutschland profitiert.

Deutschland Kampfpanzer vom Typ Leopard (Getty Images/AFP/C. Stache)

DW: Herr Bickel, „Die Profiteure des Terrors“ haben Sie Ihr Buch genannt. wer Wer sind diese Profiteure?

Markus Bickel: Einerseits sind es die Rüstungskonzerne weltweit. Sie erwirtschafteten im Jahr 2015 Umsätze im Wert von 370 Milliarden US-Dollar. An der Spitze stehen US-Konzerne. Aber auch in Deutschland haben Rüstungsunternehmen Waffen im Wert von fünf Milliarden EURO ins Ausland exportiert. Die anderen Profiteure des Terrors sind die arabischen Regime. Sie sind vielerorts Partner der westlichen Regierungen und können dank der Unterstützung durch diese ihren Repressionskurs gegen die eigenen Bevölkerungen fortsetzen – all dies unter dem Label „Kampf gegen den ‚Islamischen Staat‘, Kampf gegen den Terrorismus“.

Sie haben Deutschland erwähnt. Welche Funktion haben die Waffenexporte hierzulande?

Deutschland Autor Markus Bickel Buch Die Profiteure des Terrors markus Bickel

Eine doppelte. Die reichen Golfstaaten – Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Kuwait, Katar – schätzen einen gewissen Glitzerfaktor. Sie kaufen den Leopard-2-Panzer, nicht, weil sie tatsächlich Wüstenkriege führen wollten, sondern weil diese in ihre militärische Palette gut reinpassen. Und da will Deutschland nicht hintanstehen gegenüber der Konkurrenz aus den USA, Großbritannien oder Frankreich. Die Waffenexporte sind zugleich nur ein Teil einer ganzen Reihe von Geschäften. Sie sind deshalb interessant, weil die größten Partner im gesamtwirtschaftlichen Bereich Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE sind. Sie zählen zugleich auch zu den bedeutendsten Kunden deutscher Rüstungsgüter.

Bildergebnis für deutsche Politiker Saudi arabien

Sie beschreiben in Ihrem Buch das teils sehr beachtliche Engagement vornehmlich golfarabischer Staaten in der deutschen Wirtschaft. Beeinflusst dieser Umstand auch das Waffengeschäft?

Das eine geht mit dem anderen einher. Ich habe Politiker der VAE gesprochen, die in Berlin von Bundeskanzlerin Merkel oder dem damaligen Außenminister Steinmeier begrüßt wurden, obwohl die Emirate im Jemen in einen Krieg verwickelt sind, der in den vergangenen zwei Jahren tausende Tode gefordert hat. Ich sehe Wirtschaftsdelegationen an der Seite von Ministern oder der Kanzlerin in die Golfstaaten reisen, die dort zivile Projekte an Land ziehen wollen, die aber auch militärische Projekte verfolgen. Zwar wollen sich die Golfstaaten bis 2030 von Waffenimporten weitgehend unabhängig machen. Aber auf den Technologietransfer können sie nicht verzichten. Insofern gehen ziviles und militärisches Wirtschaftsengagement Hand in Hand.

saudi2Deutschland exportiert Waffen in den Nahen Osten und versucht in den dortigen Konflikten zugleich zu vermitteln. Ist das nicht ein Widerspruch?

Es ist ein Widerspruch. Im März hat der Bundessicherheitsrat wieder Waffenlieferungen an die Emirate erlaubt – ein Land, das an der Spitze der Militärkoalition im Jemen steht. Gleichzeitig hatte Außenminister Gabriel Vertreter der jemninitischen Konfliktparteien in Berlin zu Gast, um mit ihnen politische Auswege aus dem Konflikt zu diskutieren. Das ist ein Widerspruch, der sich nur lösen lässt, wenn man die Rüstungsexporte in die entsprechenden Länder aussetzt. Das Europäische Parlament hat dementsprechend bereits 2016 gefordert, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu stoppen.

Eingangs sprachen Sie davon, die Waffenexporte würden oft mit dem Hinweis auf den „Krieg gegen der Terror“, insbesondere gegen den IS legitimiert. Wie ließe sich diesem denn aus Ihrer Sicht angemessen entgegentreten?

Buchcover Die Profiteure des Terrors von Markus Bickel

Der Kampf gegen den IS muss auf mindestens vier Ebenen geführt werden. Eine davon ist sicherlich die militärische. Die anderen Ebene sind die politische, im Sinne einer Teilhabe der marginalisierten sunnitischen Bevölkerung (für die der IS sich zu engagieren behauptet, Anm. d. Red.).  Er muss ideologisch bekämpft werden – durch die Entkräftung des Arguments, dass Terroranschläge eine rasche Änderung der politischen Verhältnisse bewirken würden. Außerdem braucht es eine theologische Diskussion innerhalb der arabischen Welt. Dort könnte etwa über Schnittstellen zwischen der Ideologie des IS und dem Wahhabismus, der hochkonservativen Staatsreligion Saudi-Arabiens, gesprochen werden. In Jordanien und den VAE gibt es inzwischen Initiativen, die das Verhältnis zwischen Islam und Terrorismus diskutieren und den radikalen Kräfte so das Wasser entziehen. Aber das ist ein sehr langfristiges Projekt. Es folgt ganz anderen Rhythmen als die derzeitigen Kriege. Angesichts der durch sie produzierten Schrecken könnten aus ihnen weitere Terrororganisationen, etwa eine neue Version des IS oder eine weitere Entwicklung Al-Kaidas – eine Art Al-Kaida 3 – hervorgehen.

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Was schlagen Sie vor, um die Waffenexporte und das mit ihnen verbundene Leid zu beenden?

Zweierlei. Zunächst geht es um eine langfristige Strategie, ein Generationenprojekt. Deutschland, überhaupt Europa sollte sich auf jene Kräfte besinnen, die im Jahr 2011 gegen die autoritären Regime auf die Straße gegangen sind. Trotz der Niederlage, die sie erlitten, sollte Europa diese Kräfte unterstützen. Die politischen Stiftungen könnten hier aktiv werden; es könnten Umweltprojekte gestartet werden, es könnten Stipendien für junge Verfolgte oder auch für junge Studierende gestiftet werden; ihr Wissen, verbunden mit demokratischem Geist, könnten die jungen Menschen dann zurück in die Umbruchstaaten tragen. Man sollte beachten, dass auch die französische und die amerikanische Revolution mehrere Phasen durchliefen und erst nach einer geraumen Zeit erfolgreich waren.

In Europa – auch in Deutschland – sollte ein Rüstungsexportgesetz verabschiedet werden, das Waffenexporte in Krisenstaaten und solche, die in Kriege verwickelt sind, verbietet. Eine entsprechende Liste, auf der die entsprechenden Staaten verzeichnet wären, ließe sich etwa alle drei Jahre überprüfen. So würde ein Kontrollregime etabliert, das verhindert, dass Staaten wie Saudi-Arabien, die Emirate, Katar oder Ägypten Waffen erhielten.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.

Markus Bickel berichtete in den letzten zwei Jahrzehnten für zahlreiche Medien aus Sarajevo, Beirut, Bagdad und Damaskus. Zuletzt war er Nahostkorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Kairo. Seit 2017 leitet er in Berlin das „Amnesty Journal“, die Zeitschrift für Menschenrechte. Sein Buch „Die Profiteure des Terrors: Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt“ erscheint im Westend Verlag; 224 S., 18 Euro

http://www.dw.com/de/markus-bickel-kampf-gegen-den-terror-nutzt-vielen/a-38268826

Kumpanei mit der Junta – die Bundesregierung setzt in ihrer Wirtschaftspolitik gegenüber Ägypten Profite vor Menschenrechte

Milliardenaufträge für Siemens aus Kairo, steigende Nachfrage an deutschen Rüstungsgütern in Riad und Abu Dhabi: Der Schmusekurs der Bundesregierung mit den autoritären Regimes des Nahen Ostens hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Markus Bickel deckt in seinem Buch „Die Profiteure des Terrors“ auf, wie die Handelsfixierung der deutschen Diplomatie zur Aufrüstung der arabischen Welt beiträgt. Auf Platz drei unter den Importeuren von Waffen made in Germany weltweit landete Saudi-Arabien zuletzt – dicht gefolgt von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Die Devise lautet: Profite vor Menschenrechte, und diese Marschroute ist für die Länder der Region gleichzeitig ein Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate.

Ausgeschlafen sieht Sigmar Gabriel nicht gerade aus, als er auf der Couch neben Ägyptens Handels- und Industrieminister Mounir Fahkri Abdel Nour Platz nimmt. Erst nachts um zwei war der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister in Sharm el Sheikh gelandet. Nun sitzt er früh am Morgen übernächtigt im »Nile Valley Room« des Internationalen Kongresszentrums der Touristenstadt am Roten Meer. Routiniert sichert er seinem ägyptischen Counterpart deutsche Unterstützung zu, fragt interessiert nach, wie denn die Aussichten stünden, mehr private Investoren für die von hoher Armeebeteiligung getragene Wirtschaft zu gewinnen.

Die internationale Egypt Economic Development Conference (EEDC) mit Gästen aus mehr als fünfzig Staaten soll den Startschuss bilden für eine neue Ära in Ägypten. Vier Jahre nach der Revolution sind die politischen Eliten der Unruhen müde, die seit den Massenprotesten gegen Husni Mubarak 2011 und dem Putsch gegen den ersten frei gewählten Präsidenten Mohammed Mursi 2013 das Land auf Trab halten. Doch von Stabilität ist Ägypten noch immer weit entfernt: Über dem Gelände fliegen amerikanische Apache-Kampfhubschrauber, die Angst vor Anschlägen ist zwei Jahre nach der Machtübernahme durch Militärchef Abd al-Fattah al-Sisi allgegenwärtig.

Wegen dessen harten Kurses gegen Oppositionelle wollte man aus Berlin zunächst nur einen Staatssekretär auf die Konferenz in Sharm el Sheik schicken: Das Sisi-Regime sollte nicht unnötig aufgewertet, die Missachtung demokratischer Grundrechte nicht stillschweigend hingenommen werden, hieß es zur Begründung. Doch zu groß schien am Ende in Wirtschaftsministerium und Kanzleramt das Risiko, beim Run auf den riesigen ägyptischen Markt mit seinen mehr als neunzig Millionen Bewohnern den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren. Und die tummelt sich an diesem Wochenende im März 2015 nun einmal in Sharm el Sheikh: Aus 52 Staaten sind die 1500 Konferenzteilnehmer gekommen, darunter Amerikas Außenminister John Kerry und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sowie Saudi-Arabiens Kronprinz Muqrin bin Abd al-Aziz al Saud. Auch aus Abu Dhabi ist der Thronfolger da, Jordanien und Bahrain sind mit ihren Königen vertreten. Milliarden in Form von Absichtserklärungen, Direktinvestitionen und Hilfspaketen sollen fließen. Viel Geld, das letztlich auch Gabriel und seine Entourage bewog, von einer Reise Abu Dhabi nicht zurück nach Berlin zu fliegen – sondern direkt weiter nach Ägypten.

Nicht zum ersten Mal sei er zu Besuch in seinem Land, lässt der Vizekanzler Industrieminister Fahkri Abdel Nour beim Smalltalk auf dem Sofa wissen: Bereits in den 1980er Jahren habe er mit einer Delegation junger Sozialisten das Land besucht, erzählt Sigmar Gabriel. Danach sei er immer wiedergekommen, mal als Jugendfunktionär, später als niedersächsischer Ministerpräsident. Mit dem Bus seien die Nachwuchssozialdemokraten bei einer ihrer Reisen den Nil entlang von Luxor über Assiut bis nach Sohag im armen Mittelägypten gefahren, wo sie eine lokale Fußballmannschaft herausgefordert habe. In Jeans und Straßenschuhen habe man das Duell angenommen, nur um am Ende mit 1 zu 15 zu verlieren. »Ich werde Sohag nie vergessen«, sagt Gabriel lachend zu Abdel Nour. »So hoch habe ich nie wieder ein Spiel verloren. Das war ein Ereignis, unsere Niederlage.«

Niederlagen in der Politik ist Gabriel gewohnt, doch die Zehnstundenvisite in dem Badeort am Roten Meer beschert dem in den Umfragen strauchelnden SPD-Vorsitzenden endlich mal wieder einen Erfolg – zumindest wirtschaftspolitisch: Kurz nach dem Treffen mit dem Industrieminister sickert durch, dass Gabriel gemeinsam mit dem Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser ein Milliardengeschäft auf den Weg gebracht habe. Abgesichert durch Hermes-Bürgschaften würden in den kommenden Jahren 8 Milliarden Euro an Siemens fließen, um unter anderem ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Beni Suef zu errichten.

Es ist der größte Abschluss in der Geschichte des Münchner Energiekonzerns. Auch die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner ist dabei, als Kaeser das Abkommen mit breitem Lachen unterzeichnet. Im Glanz des Rekordabkommens wollen sich an diesem Frühlingsvormittag in Sharm el Sheikh alle sonnen.

Der Deal hat jedoch seinen Preis. Ohne Absprache mit dem Auswärtigen Amt, wie später bekannt wird, überbringt Gabriel eine Einladung Angela Merkels an Sisi, die Bundeskanzlerin in Berlin zu besuchen. Über Monate hatte der Machthaber auf ein Treffen gedrängt, um sein international ramponiertes Image aufzupolieren. Druck gab es offenbar auch aus Riad und Abu Dhabi.

Gabriel weiß, dass die Restauration des alten Regimes in Kairo ohne die Unterstützung der reichen Golfstaaten nie geglückt wäre. Hilfen in Höhe von 10 Milliarden Dollar versprachen Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate unmittelbar nach der Machtergreifung Sisis im Juli 2013. Der bezeichnete die Sicherheit der Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (GCC) im Gegenzug als »untrennbaren Teil der ägyptischen Sicherheitsinteressen«. Auch auf der Wirtschaftskonferenz in Sharm el Sheikh stellen Abu Dhabi und Riad mit 12,5 von insgesamt 17 Milliarden Dollar den Löwenanteil an Transferleistungen und Darlehen für Ägypten in Aussicht.

In Deutschland haben die GCC-Mächte in den vergangenen Jahren ebenfalls Milliarden investiert. Die Abhängigkeit der deutschen Politik von den Interessen der Ölmonarchien wird dadurch immer größer. Das will so direkt zwar kein Politiker offen aussprechen, die regelmäßigen Reisen der Kanzlerin, des Vizekanzlers, aber auch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dessen Wahl zum Bundespräsidenten in die Region sprechen eine deutliche Sprache. Mit im Schlepptau bei den Visiten in den Glitzermetropolen am Golf sind stets hochrangige Firmenvertreter. »Was die deutsche Wirtschaft will, ist klar: Sie will die Chance auf Investitionen nutzen«, sagt Gabriel beim Gespräch im »Nile Valley Room« des Kongresszentrums von Sharm el Sheikh. »Es gibt große Projekte hier, an denen deutsche Firmen beteiligt sein werden.«

Bevor der Vizekanzler weiter zu seinem Treffen mit Sisi eilt, verteidigt er den Kurs der Bundesregierung – und verspricht, gegenüber dem früheren Armeechef die massenhafte Verhängung der Todesstrafe ebenso zu thematisieren wie »den für Deutschland inakzeptablen Ausschluss großer Teile der Bevölkerung aus dem politischen Prozess«.

Den Hinweis darauf, dass bereits die Zusammenarbeit mit dem autoritären Staatschef Mubarak nicht zu mehr Stabilität geführt habe, sondern die Basis für die Aufstände von 2011 gelegt habe, weist der Wirtschaftsminister zurück – und setzt auf die Lernfähigkeit Sisis. »Durch Zusammenarbeit Mut zu machen zu Veränderung«, lautet Gabriels Angebot an Ägyptens Staatschef – da müsse man bei Freiheits- und Menschenrechten Abstriche eben in Kauf nehmen. »Dass wir auf Sicht damit rechnen müssen, dass die Verhältnisse sich nicht dramatisch verbessern mit Blick auf Demokratie, unsere Vorstellung von Demokratie, das scheint jedem klar zu sein«, gibt er zum Abschied eilig zu Protokoll. »Weil in der Politik müssen sie irgendwann auch mit den Realitäten umgehen lernen.« Und: »Wir leben immer in der besten aller Welten, die wir gerade vorfinden. «

Markus Bickel

Markus BickelMarkus Bickel berichtete in den letzten zwei Jahrzehnten als Redakteur, Reporter, Balkan- und Nahostkorrespondent für zahlreiche Medien, u.a. aus Sarajevo, Beirut, Bagdad und Damaskus. Er ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und Diplompolitologe. Zuletzt war er Nahostkorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Kairo. Seit 2017 leitet er in Berlin das „Amnesty Journal“, die Zeitschrift für Menschenrechte.